Wie das Coronavirus neue Geschäftsprozesse erzwingt

Ein Tauchunfall auf den Malediven – kann lebensbedrohlich und äußerst kostspielig werden. Sich während einer Reise in den Sudan eine Infektion einfangen – kann angesichts desolater Umstände vor Ort zum persönlichen Desaster eskalieren. Ein Verkehrsunfall während eines Aufenthalts in Italien – besser nicht, auch das kann sehr unangenehme Folgen haben. Es sind solche Notfälle, gegen die sich die Kundinnen und Kunden, wie zum Beispiel Taucher und Reisende, der Bremer Medical Helpline Worldwide GmbH (MHW) mit speziellen Produkten absichern können.

Mit ihrem Team aus Ärzten, EDV-Spezialistinnen, Versicherungsexperten und Kundenbetreuerinnen verfolgen die beiden Geschäftsführer Marco Röschmann und Sven Aumann seit rund 20 Jahren ihr Geschäftsmodell einer weltweiten „Assistance“, Reise- und Tauchmedizin für Menschen in Not. Geboten werden medizinische Hilfe, Beratung sowie organisatorische und logistische Dienstleistungen im Direktkontakt mit rund um die Uhr erreichbaren Ärzten. Längerfristige Rahmenverträge mit Versicherungen bieten dabei das Fundament für Kostenerstattungen an die betroffenen Kunden.

MHW plant, nach der Krise wieder vermehrt im B2B-Bereich tätig zu sein und zum Beispiel die medizinische Auslandsbetreuung von Expatriates zu übernehmen. Das können zum Beispiel Mitarbeiter sein, die vorübergehend an eine ausländische Zweigstelle entsandt werden. Oder Schulklassen während eines Auslandsaustausches.

„Wir haben inzwischen europaweit mehr als 100.000 Kunden“, berichtet Sven Aumann. Anders als bei üblichen Reiseversicherungen, die häufig nur für kurze Zeiträume abgeschlossen würden, blieben diese den MHW-„Assistance“-Produkten überwiegend über Jahre hinweg treu. MHW sei eben „keine verlängerte Werkbank der Versicherungen“, sondern agiere mit seinem mehrsprachigen Ärzteteam selbstständig und unabhängig, im Direktkontakt ohne Call-Center oder Warteschleifen und in Kooperation mit einem internationalen Netzwerk aus Partnern.

Quarantäne blockierte Hilfeleistungen

Das Coronavirus Sars-CoVid-2 allerdings stellt selbst ein Unternehmen wie MHW vor neue Herausforderungen. „Auch wir hatten Kunden, die wir während der Pandemie aus dem Ausland zurückholen mussten, die meisten Anfragen konnten wir erfolgreich bearbeiten. Aber in Fällen, in denen es um sehr entlegene Regionen und äußerst restriktive Bedingungen ging, wo selbst das Auswärtige Amt wenig ausrichten konnte, blieben auch uns die Hände gebunden“, berichtet Geschäftsführer Marco Röschmann, bei der MHW leitender Arzt und Pilot.

So habe MHW einen Kunden nach einem Tauchunfall zur Behandlung auf die Insel Carreno gebracht, die exakt einen Tag nach Beginn der Behandlung mit einem Zu- und Abreiseverbot unter Quarantäne gestellt worden sei. Auch die behandelnde Ärztin vor Ort sei mit dem Coronavirus infiziert gewesen. Selbst das Einschalten der deutschen Bundesregierung habe nichts ausrichten können. So habe MHW sich darauf konzentriert, mit dem Patienten in engem Kontakt zu bleiben und Beratung für die Behandlung vor Ort zu leisten. Nach zwei Wochen habe der Taucher aber wieder ausreisen können.

Sven Aumann und Marco Röschmann
Sven Aumann und Marco Röschmann, die beiden Geschäftsführer, Bild: Medical Helpline Worldwide

Neue Arbeits- und Organisationsformen

Die MHW-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter sind bisher von einer Infektion durch das Coronavirus verschont geblieben. „Organisatorisch aber hat uns das Virus gezwungen, das, was wir in der Vergangenheit stets mit unseren Kunden praktiziert haben, nun auch intern im Unternehmen umzusetzen“, erklärt Sven Aumann. Man habe die Arbeits- und Organisationsformen rasch so umstellen müssen, dass Risiken minimiert würden. So sei nur noch ein kleines Kernteam aus einem Mitglied der Geschäftsleitung aus den operativen Abteilungen in den Büros in der Bremer Überseestadt präsent, alle übrigen arbeiteten im Home-Office. „Ich habe im Speicher XI jetzt Hausverbot“, schmunzelt Marco Röschmann

„Wir sind sehr froh, dass wir die derzeitige Situation für wertvolle Aktivitäten – wie beispielsweise die Digitalisierung –  nutzen konnten.“ (Sven Aumann, MHW Geschäftsführer)

Für Austausch und Koordination würden gängige Online-Tools wie Skype und Zoom genutzt. Für das Reporting würden digitale Wege beschritten. „Das klappt sehr gut“, sagt Marco Röschmann. Es gelte sicherzustellen, dass jede Abteilung selbst dann noch handlungsfähig bleibe, wenn bei MHW trotz aller Vorkehrungen Infektionen auftreten sollten. „Wir sind sehr froh, dass wir die derzeitige Situation für wertvolle Aktivitäten – wie beispielsweise die Digitalisierung – nutzen konnten“, bekennt Sven Aumann.

Wie viele andere Unternehmen auch, habe man über die tägliche Arbeit wichtige Themen zeitweise etwas stiefmütterlich behandelt, so etwa die Digitalisierung der Reporting-Systeme. Derartige Themen träten jetzt allerdings stark in den Vordergrund: „Trotz der schwierigen Situation konnten wir auf diese Weise unsere Kunden weiterhin vor Ort begleiten, das stellt uns zufrieden.“

Digitaler Austausch und neue Arbeitszeitmodelle

„Zu Beginn der Corona-Infektion war das mit Sicherheit erst einmal eine Behinderung“, stellen beide Geschäftsführer fest. MHW sei allerdings nach DIN ISO 9001 zertifiziert und müsse entsprechende Notfallprozesse vorhalten: „Wir konnten in diesem Fall den Notfallprozess der zeitgleichen Erkrankung vieler Mitarbeiter entsprechend abwandeln und dabei das umsetzen, was wir für die aktuelle Situation brauchten. Es war gut zu sehen, dass diese Dinge auch in der Praxis funktionieren. Zusätzlich hat das einen Schub verursacht, zum Beispiel mit unseren Kollegen im Ausland über Video-Konferenzen zu kommunizieren oder auch einen digitalen Austausch von Befunden vorzunehmen. Das betrifft auch die Arbeitszeitmodelle für die Mitarbeiter sowie das Austesten von Home-Office. Das funktioniert in der Praxis sehr gut.“

Schon bevor das Coronavirus Sars-CoVid-2 auftauchte, hatten Sven Aumann und Marco Röschmann bei MHW die Weichen für ein umfangreiches Digitalisierungsprojekt gestellt und sich mit ihrem Vorhaben an Daniel Schneider, Geschäftsstellenleiter und Projektkoordinator beim Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrum Bremen, gewandt. Das Zentrum unterstützt und fördert kleine und mittlere Unternehmen (KMU) seit 2018 in ihrer digitalen Transformation und wird getragen von der WFB Wirtschaftsförderung Bremen GmbH.

Mittelstand 4.0 Kompetenzzentrum Bremen informiert

„Die MHW kam mit dem Wunsch nach einer Lösung für das Wissensmanagement auf uns zu“, erinnert sich Schneider. Als kundenorientiertes Unternehmen habe MHW bereits „über ein ziemlich starkes Kundenmanagement-System (CRM) verfügt“, das nunmehr durch Wissenskomponenten erweitert sowie innerhalb eines selbst entwickelten Systems zusammengefasst und auch dezentral verfügbar gemacht werden sollte.

„Wir betrachten das Unternehmen als eine große Wissensbasis, die wir zugänglich machen wollen“, beschreibt Marco Röschmann die Zielrichtung des Vorhabens. Die zahllosen Informationen über medizinische Gegebenheiten, logistische Strukturen, mögliche Partner, Zuständigkeiten, technische Kapazitäten und lokale sowie regionale Besonderheiten, die sich in den MHW-Datenbanken in den vergangenen 20 Jahren – nach Kunden sortiert – angehäuft haben, sollen systematisch recherchierbar und Geo-referenziert werden. „Ein sehr großes Projekt, das mit Sicherheit noch ein Jahr in Anspruch nehmen wird“, schätzen die beiden Geschäftsführer.

 “Die Medizinbranche ist im Wandel – Telemedizin und digitale Angebote für Patienten und Kunden sind immer stärkere Zukunftstrends. Unsere Mitarbeiter brauchen daher einen schnellen Zugang zu vielfältigem Wissen und Möglichkeiten. Ein Workshop mit dem Bremer Kompetenzzentrum hat uns darin bestärkt, kein komplett neues Wissensmanagementtool einzuführen, sondern vorhandene Strukturen effizienter zu nutzen. Dies erspart uns sowohl hohe Investitionen, als auch umfangreiche Schulungsmaßnahmen bei unseren Mitarbeitern.” (MHW-Geschäftsführer Sven Aumann und Marco Röschmann)

Daniel Schneider betont, dass das Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrum Bremen sich im Kern „als vorwettbewerblicher Sparringspartner begreift“, der helfe, Projekte anzustoßen, geeignete (IT-) Partner sowie – bei Bedarf – auch eine gezielte Förderung  zu finden, der aber diese Projekte selbst nicht umsetze. Während MHW das Digitalisierungs-Projekt weiter vorantreibe, stehe er jedoch weiter mit dem Unternehmen im Austausch.

Ende des Jahres werden bei der MHW im Speicher XI voraussichtlich die Kisten gepackt. Nach drei Umzügen soll ein vierter folgen, diesmal in eine geräumige eigene Immobilie in der Airport-Stadt, die auch für die kommenden Jahre genügend Platz für eine weitere Expansion bietet.

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