„Wir machen Filme aus artgerechter Haltung“, erklärt Amon Thein mit einem leichten Schmunzeln auf den Lippen. Der Oldenburger Unternehmer spricht gern in Bildern – wohl kaum verwunderlich für einen Filmemacher. Dabei ist es noch gar nicht so lange her, da fehlten ihm die Worte, um das zu erklären, was er eigentlich macht. Denn Schwarzseher ist ganz und gar keine typische Filmagentur, wie es sie in jeder größeren Stadt gibt.
So sollen die 18 Angestellten nach Möglichkeit nicht mehr als 32 Stunden in der Woche arbeiten. „Ich bin dagegen, Menschen aus ihren Beziehungen und Familien rauszuziehen. Wir alle haben noch andere Interessen als unsere Arbeit und dafür sollten wir auch Zeit haben“, ist der 37-jährige überzeugt. Auch sonst ist die Arbeit bei Schwarzseher ungewöhnlich: Wichtige Entscheidungen werden im Team getroffen, Ziele gemeinsam festgelegt. Lange Zeit erhielten alle den gleichen Stundensatz, bis das Team Thein drängte, sich selbst als Geschäftsführer mehr auszuzahlen, um seiner höheren Verantwortung gerecht zu werden.
Thein grübelt: Was ist gute Arbeit?
Welchen Sinn macht Arbeit, wenn keine Zeit für Beziehungen bleibt? Warum wird Unternehmenserfolg immer nur monetär gemessen? Was ist ein gerechtes Gehalt? Wie wollen wir arbeiten? Amon Thein stellt sich diese Sinnfragen immer wieder.
Als junger Angestellter verzweifelt er an ihnen. Arbeit zu erledigen, hinter der er nicht zu hundert Prozent steht, die ihm aufgetragen wird – damit kommt er schwer zurecht. Mit 23 steht für den Filmemacher und Autodidakten fest: Er will sein eigenes Unternehmen nach seinen Vorstellungen aufbauen.
New Work, ohne es so nennen zu wollen
Sinnvolle Arbeit – das ist auch ein Kernthema von New Work, einem Schlagwort, das häufig in Zusammenhang mit der Digitalisierung von Arbeit fällt. Thein mag diesen Begriff nicht. „New Work ist oft ein Werbebegriff, den sich Unternehmen gerne umhängen. Bei uns geht es weit darüber hinaus.“
Einige seiner Geschäftsführeraufgaben hat er an Angestellte abgegeben. „Wir haben keine festen Positionen im Team. Alle machen, was ihnen am meisten liegt und Freude bereitet. Nicht jede Aufgabe macht immer Spaß, aber idealerweise können alle mit ihren Aufgaben leben.“ Und wenn nicht, wird darüber geredet. Monatlich gibt es Treffen, in denen das Team diskutiert, wie es besser zusammenarbeiten kann. Bis zu einem Drittel der Arbeitszeit verwenden sie, schätzt Thein, um an sich selbst und ihrem Produkt zu arbeiten.
Mehr als nur eine Filmagentur
Die Suche nach dem Sinn hinter der Arbeit steht auch im Zentrum aller Beziehungen mit Auftraggebenden. „Wir wollen reale Probleme lösen und echte Veränderungen bewirken. Wir arbeiten deshalb nur mit Kundinnen und Kunden zusammen, wenn beide Seiten überzeugt sind, dass es sinnvoll ist.“
Und sinnvoll ist es dann, wenn es echte Probleme löst. Auch wenn Schwarzseher nach außen hin wie eine Filmagentur daherkommt, steckt viel mehr dahinter: Unternehmensberatung, Marketingagentur, Meinungsforschungsinstitut. Bevor die erste Filmklappe fällt, organisieren Thein und sein Team mehrere Workshops, in denen sie mit den Kundinnen und Kunden herausfinden, was der eigentliche Bedarf ist.
Dabei kann auch herauskommen, dass eine teure Filmproduktion gar nicht das richtige ist und die Kundin oder der Kunde eigentlich eine neue Strategie benötigt oder nur ein wenig Schulung. „Manchmal passt es auch einfach nicht. Wir wollen nicht Aufträge annehmen um jeden Preis“, erklärt Thein. Das wolle er auch seinen Angestellten nicht zumuten.
Gemeinwohl-Ökonomie eröffnet Thein neue Welten
Fair mit Kundinnen und Kunden wie auch Angestellten umgehen, nicht den Profit in den Vordergrund stellen, sondern den Sinn der eigenen Arbeit – lange Zeit fühlt sich Thein damit wie ein Fisch, der stetig gegen den Strom schwimmt.
Bis vor zwei Jahren. Da stieß er auf das Konzept der Gemeinwohl-Ökonomie, einer Wirtschaftsideologie erdacht vom österreichischen Politologen Christian Felber. „Es war, als hätte sich ein Vokabelbuch für mich geöffnet, in dem die Worte stehen, nach denen ich immer gesucht habe, um auszudrücken was mir wichtig ist mit meinem Tun. Es ist für mich das kompletteste und praxistauglichste System, was alternatives Wirtschaften angeht“, sagt Thein heute.
Die GWÖ ist ein Wirtschaftssystem, bei dem nicht der finanzielle Ertrag, sondern die Gesellschaft und die Umwelt im Fokus stehen. Die Marktwirtschaft soll ein „gutes Leben für alle“ ermöglichen, Wertschätzung, Kooperation, Mitbestimmung, Solidarität und Teilen im Mittelpunkt unternehmerischer Handlungen stehen. Der Gewinn soll der Allgemeinheit zugutekommen.
Ein Baustein des Konzepts ist die Gemeinwohl-Bilanz. Ähnlich wie die Jahresbilanz eines Unternehmens gibt die Gemeinwohl-Bilanz zahlengenau Auskunft über den Stand in Sachen sozial verantwortliches und umweltbewusstes Handeln, gerechte Arbeitsverhältnisse, transparente Prozesse oder Mitentscheidungsmöglichkeiten. Unternehmen können diese Bilanz freiwillig erstellen. In Deutschland folgen zahlreiche Betriebe der GWÖ und organisieren sich dabei in Regionalgruppen, um gemeinsam dem Ideal näher zu kommen und sich gegenseitig anzuspornen.
Interesse an neuen Formen des Wirtschaftens groß
In seiner eigenen Bilanz betrachtet Thein neben Kundinnen und Kunden sowie Angestellten auch seine Beziehung zu Lieferantinnen und Lieferanten, der Konkurrenz und zur Umwelt. Schwarzseher nutzt Filmtechnik, die möglichst fair hergestellt wurde, versucht auf unnötige CO2-Emissionen zu verzichten und kauft nur dort Zertifikate, wo es sich nicht vermeiden lässt.
Sein Engagement hat sich mittlerweile herumgesprochen – Thein hat eine GWÖ-Gruppe in Oldenburg gegründet, der mittlerweile 20 Mitglieder angehören. Er glaubt, dass das Interesse in Zukunft noch wachsen könnte. „Wir verbinden Wirtschaftlichkeit mit sozialökologischem Bewusstsein. Immer mehr Menschen ist es wichtig, dass sie nachhaltige und faire Produkte kaufen – warum sollte das nicht auch für Unternehmen gelten?“
Auch für Schwarzseher selbst hat sich die GWÖ-Bilanz gelohnt. Durch Corona haben viele Unternehmen ihr Onlinemarketing hochgefahren und setzen vermehrt auf Filme für Webseite, Instagram und Facebook. „Durch die Art und Weise, wie wir handeln und miteinander umgehen, sind wir superattraktiv für viele Kreative und erhalten oft Bewerbungen von motivierten Leuten, die gut in unser Team passen. So können wir mit unseren Kundinnen und Kunden und Projekten nachhaltig wachsen.“
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