Pappe bietet auf den ersten Blick wenig Möglichkeiten für die Digitalisierung.
Mit Kreativität und einem Blick über den Tellerrand ist es dem zweiköpfigen Bad Zwischenahner Unternehmen BEE19 jedoch gelungen, ein neues digitales Geschäftsmodell rund um dieses Material zu entwickeln. Unter dem Namen „pappIT“ bietet BEE19 eine Smartphone-App an, die es Interessenten ermöglicht, lebensgroße Pappaufsteller von sich selbst oder jemandem anders anfertigen zu lassen, beispielsweise für den Einsatz bei Hochzeiten oder anderen Feierlichkeiten. Auch Miniatur-Aufsteller („Minime“) mit 20 cm Höhe sind lieferbar.
Kreatives aus Wellpappe
Geschäftsführerin Sabine Burmeister führte in der Idee für pappIT ihr Know-how aus verschiedenen Bereichen zusammen. Bereits seit 15 Jahren ist sie – ebenfalls als geschäftsführende Gesellschafterin – in der Oldenburger Kartonagenfabrik tätig, die 1972 vom Vater ihres Mannes Ulf gegründet worden war. Vor dem Wechsel in das Familienunternehmen war die Diplom-Kauffrau im Modebereich aktiv. Von dort hat sie ihr Interesse an Design mitgebracht: „Ich habe ein Faible für Verpackungen“, erklärt sie.
Dieses Faible hat sie zu BEE19 mitgenommen. Der unabhängige Ableger der Oldenburger Kartonagenfabrik wurde 2009 gegründet, um Produkte aus Wellpappe zu vermarkten. Besonders erfolgreich ist beispielsweise der PappCube – ein flexibel einsetzbarer Papphocker, der im Corporate Design einer Firma gestaltet oder mit beliebigen sonstigen Motiven bedruckt werden kann.
Mehr Flexibilität mit eigenem Digitaldrucker
In der Vergangenheit hat BEE19 die Pappen zu einem Digitaldrucker geliefert und zur Weiterverarbeitung wieder abgeholt. Als sich die Nachfrage nach individuell bedruckten PappCubes häufte, entstand jedoch der Wunsch, alle Produktionsschritte direkt vor Ort umsetzen zu können. Im Herbst 2018 wurde daher ein Digitaldrucker angeschafft.
„Mit einem eigenen Drucker sind wir flexibler, schneller und qualitativ besser“, erklärt Burmeister. Im vergangenen Jahr konnte damit beispielsweise zügig die Anfrage einer Berufsgenossenschaft bedient werden, 280 lebensgroße Figuren als Aufsteller anzufertigen, die verschiedene Berufsgruppen darstellen.
Dank des Digitaldruckers lassen sich derartige Figuren auch in kleinsten Mengen kostengünstig produzieren. Sabine Burmeister kam daher die Idee, sich erstmals auch direkt an Privatkunden zu wenden. Bei Geburtstagen, Hochzeiten oder anderen Feierlichkeiten können lebensgroße Darstellungen der Hauptpersonen als attraktiver Hingucker dienen.
Smartphone-App für junge Zielgruppe
Da BEE19 mit dem Angebot besonders jüngere Zielgruppen ansprechen möchte, war schnell klar, dass eine Smartphone-App für den Vertrieb her muss – schließlich wickeln immer mehr Kunden ihre Käufe mit dem Handy ab. Burmeister hatte eine Vorstellung im Kopf: Kunden sollten in der Lage sein, ein Foto direkt vom Smartphone hochzuladen und daraufhin mit wenigen Schritten den Bestellvorgang abzuschließen. Als zusätzlichen Anreiz wünschte sie sich Filter wie bei Snapchat – also eine Art digitale Verkleidung, die sich direkt auf das Foto legen lässt, beispielsweise exotische Kleidungsstücke, Hundeohren oder ein Supermannkörper.
Aber wie entwickelt man solch eine App?
Das Unternehmerehepaar Sabine und Ulf Burmeister war neuen Technologien gegenüber zwar schon immer sehr aufgeschlossen und hatte das Kerngeschäft der Oldenburger Kartonagenfabrik bereits 2016 auf digitale Prozesse umgestellt, aber eine eigene Software musste es noch nicht herstellen.
Kompromisse bei der Umsetzung erforderlich
BEE19 startete mit einer Ausschreibung für App-Entwickler. „Wir bekamen eine Reihe von Angeboten“, erzählt Burmeister. „Teilweise merkte man aber schon am Telefon, dass es mit dem Anbieter nicht funktioniert.“ Einmal sei sie beispielsweise erst nach fünf Tagen vom Anbieter zurückgerufen worden. „Wir schätzen junge, kreative Köpfe“, sagt sie. „Das muss schnell und auf allen Kommunikationskanälen funktionieren. Mittlerweile wähle ich Anbieter auch nach ihrem Social-Media-Profil. Da erkennt man meist sehr schnell, wer zukunftsfähig ist.“ Sie entschied sich schließlich auf Basis des Preis-Leistungsverhältnisses für eine kleine Softwarefirma aus Würzburg: 7500 Euro sollte die App kosten.
Im Laufe des Entwicklungsprozesses zeigte sich allerdings schnell, dass für diesen Preis einige Kompromisse erforderlich sind, vor allem bei der Umsetzung der Filter. Die aufwändigen grafischen Spielereien, die zuerst von Snapchat eingesetzt wurden, sprengen das Budget eines kleinen Unternehmens. Darüber hinaus erfordert das System, das der App zugrunde liegt, ein spezielles Datei-Format für die Filter – und dieses Format eignet sich schlecht für die gewünschten Funktionen. Daher bietet PappIT jetzt sogenannte Accessoires an: Die Person im Foto kann mit cartoonartigen grafischen Elementen verziert werden, darunter Schnurrbärte, Oktoberfest-Outfits oder ein Hund.
Wenn der Kunde mit seiner Kreation zufrieden ist, gibt er noch einen Namen und die gewünschte Größe für die Figur ein. Anschließend erfolgt die Bezahlung via PayPal.
Technik komplett ausgelagert
Mit der Administration der App muss BEE19 sich nicht befassen; die Software läuft auf den Servern der Würzburger Softwarefirma und wird – auf der Basis eines Service-Vertrags – von ihr auf dem aktuellen Stand gehalten. Dies hat auch den Vorteil, dass keine zusätzlichen IT-Sicherheitsrisiken für BEE19 entstehen, denn die App läuft komplett getrennt von der sonstigen Unternehmenssoftware. Die Bad Zwischenahner haben via Internet aber Zugriff auf die Auftragsdaten, die bei der App eingehen. Die vollständigen Rechte an der Software liegen bei BEE19, sodass Sabine Burmeister jederzeit zu einem anderen Anbieter wechseln könnte, ohne Lizenzgebühren zu bezahlen.
Die App-Entwicklung war allerdings nur der erste Schritt. Ebenso wichtig ist die Vermarktung, um die passende Zielgruppe zu erreichen. Mit dieser Aufgabe beauftragte Burmeister zunächst eine Werbeagentur, allerdings blieb diese hinter den Erwartungen zurück. Daraufhin übernahm BEE19 das Marketing selbst – mit deutlich mehr Erfolg.
Wichtigstes Instrument sind dabei Social-Media-Kanäle, vor allem Instagram. Aktuell denkt Burmeister auch darüber nach, spezielle Angebote für Unternehmen zu entwickeln. Firmen können beispielsweise einen individuellen Code an ihre Kunden oder Mitarbeiter vergeben, mit dem diese ein besonderes Design freischalten können. Denkbar sind in diesem Zusammenhang auch Vereinslogos vom Lieblingsclub.
Tipps für die App-Entwicklung
Der Weg von der Idee bis zur fertigen Entwicklung und Vermarktung des neuen Angebots war für Sabine Burmeister ein Lernprozess. „Ich bin da etwas blauäugig rangegangen“, sagt sie. Für andere Unternehmen, die erstmals eine Smartphone-App einsetzen wollen, hat sie einige Tipps:
- Viel Zeit und Energie einplanen.
- Bei der Auswahl der App-Entwickler genau darauf achten, welche Projekte sie bereits umgesetzt haben, und vorab mit ihnen besprechen, ob sich die eigenen Ideen technisch realisieren lassen.
- Kontakt zu jungen Leuten suchen, um die Attraktivität des Angebots sicherzustellen.
- Eigenen Kopf benutzen. Die App kann nur erfolgreich sein, wenn man die richtige Zielgruppe mit einem passenden Angebot anspricht und die App dann mit Leben erfüllt.
Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrum Bremen unterstützt
BEE19 hat den Weg zur App bereits vor dem Start des Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrums Bremen eingeschlagen. Wer sich jetzt mit der Digitalisierung des eigenen Unternehmens befasst, kann dabei umfassende Unterstützungsleistungen in Anspruch nehmen.
Die Experten des Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrums Bremen informieren und sensibilisieren dabei kleine und mittlere Unternehmen hinsichtlich der Chancen und Herausforderungen bei der Digitalisierung und unterstützen bei der Umsetzung von Pilotprojekten.
Als ein Ansprechpartner für das Oldenburger Land bietet das OFFIS Institut für Informatik als Partner des Kompetenzzentrums seine Expertise insbesondere in den Anwendungsfeldern Energie, Gesundheit, Produktion und Verkehr an.
Kontakte
Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrum Bremen
Dr. André Bolles
OFFIS e. V. – Institut für Informatik
Mobile: 0176 – 18 81 10 63
Email: andre.bolles@offis.de
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